„Unterschreiben Sie hier, wenn Sie für weniger Wohnen in Berlin sind!“

Derzeit bewegt sie Berlin: die Initiative zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen. Offensiv werden Unterschriften gesammelt – sogar bei einigen Genossenschaften waren schon Flyer in den Briefkästen. Das Ziel der Initiative: Die Enteignung von gewinnorientierten Wohnungsunternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin haben.

Die von den Unterschriftensammler- und Sammlerinnen immer wieder gehörte Aufforderung: „Unterschreiben Sie hier, wenn Sie für günstige Mieten in Berlin sind!“ Dabei wäre die sehr viel angebrachtere Aufforderung: „Unterschreiben Sie hier, wenn Sie für weniger Schulen in Berlin sind!“ Alternativ: „…wenn Sie für weniger Buslinien in Berlin sind!“; oder „…für weniger Polizei in Berlin!“; oder „...für weniger Wohnen in Berlin!“ Sie denken jetzt bestimmt: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Die Antwort ist: sehr viel! Denn nach offizieller Schätzung des Senats müsste das Land Berlin für die Entschädigung der enteigneten Wohnungsunternehmen zwischen 29 und 36 Milliarden Euro bezahlen. Geld, das das Land nicht hat – schon gar nicht nach den tiefen wirtschaftlichen Einschnitten der Corona-Pandemie. Und, machen wir uns nichts vor: Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Deshalb würde diese grundgesetzlich vorgeschriebene Entschädigungszahlung dazu führen, dass das Land noch weniger investieren könnte in den dringend erforderlichen Neubau von Schulen, die Einstellung von mehr Personal bei Polizei oder Bezirksämtern, die Digitalisierung der Verwaltung, die Anschaffung von neuen Bussen oder die Förderung von Sozialwohnungen.

Und das alles, ohne dass bei der Allgemeinheit etwas davon ankäme – außer den Kosten natürlich, auf denen der Steuerzahler sitzen bleiben würde. Profitieren würden höchstens die Mieter und Mieterinnen in den enteigneten Wohnungen, denen die Initiative niedrigere Mieten verspricht. Aber wahrscheinlich noch nicht einmal die. Denn zum einen rechnet die Initiative bei den Mieten mit einem fiktiven „Faire-Mieten-Modell“. Wie aber mit einer Miete von nur 4,04 Euro pro Quadratmeter die notwendigen Investitionen in Erhalt, Modernisierung oder gar Neubau von Wohnungen geleistet werden sollen, bleibt ihr Geheimnis. Das hat viel mit Wunschdenken zu tun, aber nichts mit wohnungswirtschaftlichem Sachverstand. Denn für diesen Betrag kann kein Vermieter eine dauerhafte und verlässliche Bewirtschaftung der Wohnungsbestände sicherstellen. Selbst wenn die Mieten für die enteigneten Wohnungen also sinken sollten, so ginge das zu Lasten der Gebäudesubstanz sowie zu Lasten von Wohnkomfort und einem verlässlichen Service.

Wenn das Land Berlin ein Enteignungsgesetz erlassen würde, sähen sich die Bewohnerinnen und Bewohner der enteigneten Wohnungen zudem mit jahrelanger Rechtsunsicherheit konfrontiert: Wem gehört meine Wohnung? Wer kümmert sich um Reparaturen, wenn der Eigentumsstatus unklar ist? Und – die Erinnerungen an das gescheiterte „Mietendeckel“-Experiment sind ja noch ganz frisch: Muss ich Miete für Jahre nachzahlen, wenn (was absehbar wäre) auch eine Enteignung vom Verfassungsgericht als grundgesetzwidrig verworfen würde und die Wohnungen an die rechtmäßigen Eigentümer zurückübertragen werden?

Und bei den Genossenschaften kommt noch etwas Gravierendes hinzu: Leider kann niemand ausschließen, dass nicht auch aus dieser Gruppe die größeren Unternehmen von einer Enteignung betroffen wären. Das lehren die Erfahrungen mit ähnlichen Gesetzen, wie dem Zweckentfremdungsverbot oder dem „Mietendeckel“. Bei beiden hat die Politik versprochen: sie tut alles, damit Genossenschaften von den jeweiligen Bestimmungen ausgenommen werden. Das beteuern diejenigen, die sich jetzt für eine Enteignung einsetzen, nun auch wieder, wann immer sie danach gefragt werden. Aber: In beiden vorhergehenden Fällen waren Genossenschaften trotzdem unmittelbar betroffen. Da liegt nahe, dass das auch bei einer Enteignung der Fall sein könnte.

29 Berliner Genossenschaften haben mehr als 3.000 Wohnungen; insgesamt kommen sie auf rund 140.000. Viele von ihnen sind seit weit mehr als 100 Jahren für ihre Mitglieder im Einsatz. Fest in Berlin verwurzelte, sozial verantwortungsvolle Traditionsunternehmen, die wiederholte tiefe wirtschaftliche Umbrüche und zwei Weltkriege überstanden haben, würden dann als „Kollateralschäden“ verschwinden – weil mit ihrem Wohnungsbestand auch ihre Substanz verloren ginge.

Die Probleme am angespannten Berliner Wohnungsmarkt Berlin sind nicht zu übersehen; ebenso wenig, dass diese Probleme vielen Menschen Angst machen. Es bleibt aber ein Fakt: Gegen die Anspannung am Wohnungsmarkt hilft nur die Ausweitung des Angebots, also der Neubau von günstigen Mietwohnungen. Das aber schafft man nicht mit Enteignungen, sondern nur durch Kooperation mit sozial verantwortungsvollen Wohnungsunternehmen wie den Genossenschaften.

Deshalb: Überlegen Sie sich genau, bevor Sie unterschreiben oder wofür Sie Ihre Stimme abgeben.